Medien führen eine Hassliebe mit der Interaktion von Lesern. Bieten Kommentarfunktionen einen wertvollen Mehrwert oder nur einen Tummelplatz für Hasstiraden? Welcher Umgang mit Kommentaren zukunftsfähig ist, wurde heftig diskutiert.
Von Tizian Schöni, Elena Neff, Florina Krampen, Mara Landtwing, Tim Wirth, Somara Frick, Miro Hintermüller
Ingrid Brodnig journalistische Leidenschaft ist das Internet – von Katzenvideos bis europäische Netzpolitik, wie sie selbst sagt. Die Wiener Journalistin bringt die Thematik mit einem Vergleich gut auf den Punkt: Sie fordert das Publikum auf, sich vorzustellen, dass sie in der Rolle der Referentin eine Dame in der ersten Reihe beschimpfen würde. Logisch, das Publikum würde reagieren und die Geschädigte verteidigen. Zudem käme es gar nie zu so einer Situation; zu heftig wären die Hemmung der Täterin und die Reaktion des Publikums. Im Internet ist dies anders.
Ein Smiley ersetzt keine Gestik, die Absenz von Augenkontakt führt zur Hemmungslosigkeit in der Community.
„Drei externe Leute sortieren die Kommentare“, sagt Christian Lüscher, Medienreporter beim Tagesanzeiger. Die Zeitung erhält pro Tag 4000 bis 5000 Kommentare, 20 Prozenten werden heute gelöscht. Das war nicht immer so: Die Zeitung musste sich überlegen, wie das Niveau des Diskurses angehoben werden kann und wie man „Trollen“ vorbeugt. Auch die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) schaltet 25 Prozent der Kommentare nicht frei, strenge Kommentarrichtlinien sollen den Etat des Traditionsblatts schützen. „Anstatt ganze Kommentare zu löschen werden teilweise einzelne Satzteile wegelassen“, sagt die passionierte Bloggerin und Redakteurin der NZZ Adrienne Fichter. Eine Person redigiert zusätzlich die Kommentare. Ingrid Brodnig steht hinter den Ansätzen der Schweizer Medienschaffenden: „Ich finde es toll, das die Schweizer so viel Kommentare löschen“.
@luschair: Beim @tagesanzeiger-Newsnetz “erziehen” sie die Onlinecommunity. Ist das die richtige Startegie? #JourTag15
— Miro Hintermüller (@miro_bellprat) 4. November 2015
Wie Medien in der Zukunft am effektivsten mit Kommentarfunktionen umgehen sollen, bleibt während der Diskussion schwammig. Die Interaktion mit den Lesern komplett einzudämmen, ist für die drei Podiumsteilnehmenden und den Moderator Urs Bühler, Journalist bei der NZZ, keine Lösung. „Damit geben die Redaktionen vieles aus der Hand“, bemerkte Christian Lüscher. Zudem verlagern sich die Diskussionen dann auf andere Soziale Medien. Ingrid Brodnig weist auf den Spardruck der Medienbranche hin. Sie findet es sinnvoll, die Kommentarfunktion nur bei bestimmten Artikeln zuzulassen und diese dann auch gut zu betreuen. So hat zum Beispiel die New York Times ein besonderes Konzept entwickelt, um die Kommentare unter Kontrolle zu behalten: Nur dort wo ein Redaktor mitliest, kann ein Kommentar gepostet werden. Christian Lüscher könnte sich vorstellen, die Paywall auf die Kommentarfunktion auszubreiten. Dadurch soll sich die Qualität der Kommentare erheblich verbessern. Lösungsansätze gibt es einige.
Mal schauen wann auf diesem Blog die ersten Trolle eintrudeln.
Videobeitrag:
#JourTag15 Anchorman @miro_bellprat berichtet über Publikumskritik im Netz. @adfichter @brodnig @luschair @urspunkt pic.twitter.com/nJwfeY2S89 — Tizian Schöni (@Tizian_Schoeni) 4. November 2015
Ingrid Brodnig findet Communitybuilding wichtig. Bild: Mara Landtwing
Moderator Urs Bühler diskutiert mit Adrienne Fichter und Christian Lüscher. Bild: Mara Landtwing
Die Zuschauer lauschen gespannt der Diskussion. Bild: Mara Landtwing
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